Die Kolonistin

Manfred Lentz

 

"Die Stärke eines Staates besteht nicht in der Ausdehnung seiner Grenzen,

sondern im Reichtum seiner Bewohner und in ihrer Anzahl.

Darum liegt es im Interesse eines Fürsten, sein Land zu bevölkern und es zur Blüte zu bringen.“

 

Kronprinz Friedrich, der spätere König Friedrich II.

 

1. Kapitel

 

(April 1748, Pfalz) 

 

Die meisten Menschen sterben im Bett. Viele erwischt es auf einem Schlachtfeld, andere erleiden einen Unfall, und manche verscheiden durch eigene Hand. Der Geldverleiher Franz Oligschlaeger aus Kaiserslautern beendete sein Leben auf der Gräfin Karoline von Rott.

 

Es war in der Nacht vom 16. auf den 17. April des Jahres 1748, als sich dies ereignete. Und dabei war ein solches Schicksal in keiner Weise abzusehen gewesen, war der Geldverleiher doch ein Mann in der Blüte seiner Jahre, rundum gesund und so stark, dass er beim Armdrücken im „Weißen Hirsch“ noch jeden Gegner bezwungen hatte. Diese Stärke war denn auch einer der Gründe gewesen, weshalb die Gräfin ihn ausgewählt hatte, ihr nächtliche Gesellschaft zu leisten. Auf ihren Gemahl Rücksicht zu nehmen, hielt sie nicht für geboten. Karl Friedrich Emanuel von Rott war der bis dahin letzte Spross eines schon seit vielen Generationen in der Pfalz ansässigen Adelsgeschlechts, dessen Besitz ausgedehnte Ländereien umfasste einschließlich eines ertragreichen Weinbergs sowie etliche Dörfer. Nicht nur eine gute Partie für seine Gemahlin, sondern in den Anfangsjahren ihrer Ehe zugleich einer, der eine Frau zu nehmen verstand. Doch irgendwann hatte er seine Liebe für das politische Leben entdeckt, insbesondere für Ränke und Intrigen, die einen nicht unwesentlichen Teil des höfischen Lebens ausmachten, was zur Folge hatte, dass er fortan einen erheblichen Teil seiner Zeit auf Reisen verbrachte. Was die Gräfin als unbefriedigend empfand, weshalb sie nach einer Gelegenheit Ausschau hielt, ihrem abgekühlten Liebesleben ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Der Geldverleiher Franz Ohligschlaeger kam ihr da gerade recht. Kennengelernt hatte sie ihn, als ihr Gemahl bei diesem wegen einer größeren Summe Geldes vorstellig geworden war, um ein Vorhaben, das er als wichtig erachtete, zu unterstützen. Da beide mit dem Geschäft sehr zufrieden gewesen waren, hatte man den Abschluss angemessen gefeiert, wobei alle Beteiligten dem exzellenten Tropfen aus dem gräflichen Weinberg ausgiebig zugesprochen hatten. Bei dieser Gelegenheit, während Diener den Grafen nach etlichen geleerten 

Pokalen ins Bett hatten tragen müssen, waren der noch halbwegs nüchterne Franz Ohligschlaeger und die noch völlig nüchterne, aber um so erwartungsvollere Gräfin einander nähergekommen. Und als der Graf das nächste Mal auf Reisen gegangen war, hatte sich der Geldverleiher eines Abends unbemerkt von den Dienstboten ins Schloss geschlichen und mit der Gräfin in deren Gemach eine stürmische und für beide gleichermaßen befriedigende Nacht verbracht. Was nicht hätte geschehen dürfen, da der Geldverleiher ein Mann unterhalb ihres Standes war. Aber da er, wenn auch nicht blaublütig, so doch um so heißblütiger gewesen war, hatte die Gräfin darüber hinweggesehen. Ihrem Credo folgend „Vivimus tantum semel“ - „Man lebt nur einmal“ - , waren sie bald darauf ein zweites Mal zusammengekommen, danach ein drittes und noch ein viertes Mal, und bei jeder dieser Begegnungen hatte der Geldverleiher der Gräfin gegeben, was sie so lange entbehrte. Vier Mal hatten beide den Garten der Lüste durchstreift, bis beim fünften Mal jenes schreckliche Ereignis geschah.

 

Reglos lagen sie da, nachdem sie gemeinsam den Gipfel der höchsten Ekstase erklommen hatten, schweißgetränkt war ihre Haut, und im Raum hingen noch immer die Worte, die sie einander zugeflüstert hatten im Rausch ihrer Sinne. Ihren starken Hengst hatte sie ihn ein um das andere Mal genannt, worauf er ihr immer ins Ohrläppchen gebissen hatte, doch beim letzten Mal folgte auf den starken Hengst kein Ohrläppchenbiss, und auch sonst gab es keinerlei Reaktion. Ihr Geliebter sei vielleicht besonders erschöpft, dachte sie bei sich und wiederholte ihre Worte, und als auch darauf nichts folgte, rüttelte sie zärtlich an ihm für den Fall, dass er eingeschlafen war. Doch auch jetzt regte er sich nicht. Schließlich drehte sie ihren Körper zur Seite, was ihn von ihr herunterrollen ließ, wobei er um ein Haar aus dem Bett gefallen wäre. Schlagartig stieg Angst in ihr auf, ihr Herz krampfte sich zusammen, und noch mehr Schweiß trat auf ihre Stirn. Erneut rüttelte sie an ihm, diesmal schon heftiger, sie nahm seinen Kopf zwischen die



Hände und sprach zu ihm mit immer drängenderen Worten, bis sie endlich begriff, was sie nicht wahrhaben wollte: Ihr Geliebter war tot.

 

Panik stieg in der Gräfin auf. Ihr erster Impuls war, um Hilfe zu rufen, doch beherrschte sie sich gerade noch rechtzeitig. Denn wie sollte sie ihren Dienern jenes höchst delikate Ereignis mit dem fatalen Ausgang erklären, musste sie doch fürchten, dass alles, was sie ihnen mitteilte, nach seiner Rückkehr die Ohren des Grafen erreichen würde? Sie sprang aus dem Bett, schlang ein Laken um ihren zitternden Leib und begann, in ihrem Gemach wie ein gehetztes Wild hin und her zu laufen. Wie gern hätte sie in diesem Augenblick alles rückgängig gemacht! Sie war leichtsinnig gewesen, sträflich leichtsinnig, doch was geschehen war, war geschehen. Würde ihr Gemahl davon erfahren … Allein schon der Gedanke daran jagte ihr Schauer über den Rücken. Nein, es galt alles zu tun, um die Angelegenheit heil zu überstehen, und das hieß vor allem: Die Leiche musste weg! Immer mal wieder einen Seitenblick auf ihren verblichenen Geliebten werfend, kleidete sie sich an und machte sich anschließend auf leisen Sohlen auf den Weg durch das Schloss zu der Kammer, in der ihre Zofe schlief. „Nicht schreien!“, flüsterte sie und hielt der Überraschten den Mund zu, bis diese sie erkannte. In kurzen Sätzen schilderte ihr die Gräfin, was vorgefallen war, wobei sie den Anfang der Geschichte aussparen konnte, war die Zofe doch als Einzige im Schloss in die Eskapaden ihrer Herrin eingeweiht gewesen. Ja, mehr noch, sie hatte diese nach Kräften darin unterstützt, dass die nächtlichen Besuche unbemerkt blieben. Würde der Graf davon erfahren, so wäre auch ihr eine strenge Bestrafung sicher, also musste sie ihrer Herrin jetzt beistehen. „Der Tote muss weg!“, drängte die Gräfin, worauf die Zofe heftig nickte und beide darüber nachzudenken begannen, wie dieses Vorhaben am besten zu bewerkstelligen war. 

 

Eine Stunde, nachdem der Geldverleiher Franz Oligschlaeger aus dem Leben geschieden war, huschte die Zofe durch die Gänge zu dem

Türchen, das sie am Abend für den erwarteten Besuch aufgesperrt hatte und verließ heimlich das Schloss. Atemlos eilte sie durch die Nacht, bis sie nach einer Zeit, die ihr dieses Mal endlos erschien, das Gehöft ihres Vaters erreichte. Gleich darauf stand sie in dem Raum, in dem ihre Brüder Adam und Ludwig schliefen, und nachdem sie die beiden aufgeweckt hatte, schilderte sie ihnen, was vorgefallen war. Um wen es ging, verriet sie dabei nicht, nur dass ihnen ihre Hilfe für die Gräfin 100 Taler einbringen würde, eine stolze Summe, die angesichts der Verschuldung des Hofes eine beträchtliche Entlastung bedeuten würde. Ohne zu zögern, stimmten beide sofort zu, und als die Uhr vom Kirchturm das nächste Mal schlug, waren die drei bereits auf dem Weg zum Schloss. Schüchtern, obwohl sie in dieser Situation die Hauptpersonen waren, traten die beiden Brüder in das Schlafgemach der Gräfin. Ganz aufgelöst sah sie aus mit ihrer schief sitzenden Haube und dem strähnigen Haar. Wie es ihnen in Fleisch und Blut übergegangen war, entboten die Brüder der Gräfin ihren untertänigsten Gruß, was diese indes mit einer Handbewegung wegwischte. Ob Adel oder Bauer - was im Leben nicht möglich war, das bewirkte der Tod, weshalb ihr „Schnell, schnell!“ beinahe etwas Verschwörerhaftes hatte. Den Dahingeschiedenen fanden sie auf dem Bett liegend vor, ordentlich mit Rock, Hose und Hut, nachdem die Gräfin ihn züchtig angekleidet hatte. Neben ihm hatte sie ein Laken ausgebreitet, um ihn darin einzuwickeln. Die Brüder wollten gerade damit anfangen, als sie beide gleichzeitig stutzten. Sie kannten den Toten. „Schnell, schnell!“ wiederholte die Gräfin, die die Reaktion der beiden nicht bemerkt hatte. Und mit einem Eifer, den sie nur selten an den Tag legte - sie hatte ja ihre Bediensteten -, begann sie, unterstützt von der Zofe und den beiden Brüdern, den Geliebten in das Laken zu wickeln und zu verschnüren. Ein paar Steine, die Last zu beschweren, würden sie am See finden, und dann hinein ins Wasser mit dem Toten, auf dass niemand ihn jemals wiederfinden würde. Die Gräfin selbst hielt ihnen die Tür auf, und nachdem die Brüder sie verlassen hatten, trat sie ans Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Erst als sie die beiden mit ihrem Paket aus dem



Schloss kommend im nahen Wald verschwinden sah, erst in diesem Augenblick atmete sie auf, und eine Träne über den Tod ihres Geliebten rann über ihr Gesicht.

 

Der Himmel hing voller Wolken, nur gelegentlich brachen sie auf, und das Mondlicht beleuchtete den Weg. Irgendwo rief ein Käuzchen, Frösche quakten im See, aber sonst war es still. Mit heftig klopfendem Herzen und den Kopf voller Gedanken liefen die beiden Brüder durch den Wald. Franz Oligschlaeger! Ausgerechnet der Geldverleiher Franz Oligschlaeger war es, der ihnen gänzlich unerwartet zu so viel Geld verhalf! Welch eine Ironie des Schicksals. Noch am Abend waren sie ihm zufällig in der Dorfschenke begegnet. Er hatte an einem Tisch gesessen und allem Anschein nach auf etwas gewartet. Sie selbst waren nach der Arbeit auf dem Feld noch auf einen Krug Bier eingekehrt. Gleich auf den ersten Blick hatten sie einander erkannt, und sofort war der ganze Ärger wieder dagewesen, der ihnen und ihrer Familie in den vergangenen Monaten das Leben so schwer gemacht hatte. Begonnen hatte es ein Jahr zuvor nach der Missernte, die große Teile der Pfalz heimgesucht und zahlreiche Bauern an den Rand ihrer Existenz gebracht hatte. So auch ihre Familie. Nach der Dürre des Sommers hingen die Ähren klein und kraftlos an den Halmen, eine Viehkrankheit kam hinzu, und schon tauchte das Gespenst des Hungers am Horizont auf. Hilfe war gefragt in dieser Situation, und die einzigen, die helfen konnten, waren die Geldverleiher. Überall mussten die Bauern sich damals verschulden, wurden sie zum Opfer von Männern, die nur gegen Wucherzinsen hergaben, was andere zum Überleben brauchten, und einer dieser Männer war Franz Oligschlaeger gewesen. Aber damit nicht genug: Als ihre Familie mit den Rückzahlungen in Verzug geraten war, hatte er ihnen das wenige noch gesunde Vieh pfänden lassen und damit den Strick um ihren Hals noch enger gezogen. Gnadenlos und eiskalt. Und genau das war der Grund gewesen, weshalb sie im Dorfkrug mit ihm zusammengestoßen waren. Ein Wort hatte das andere gegeben, der Streit war eskaliert, und wären nicht ein paar Beherzte  

dazwischengegangen, so wäre an diesem Abend womöglich noch Blut geflossen. Und nun also war der Halsabschneider tot - eine Tatsache, die ihnen auch deshalb so große Freude bereitete, weil sein Ableben ihnen auch noch viel Geld einbringen würde. Vielleicht, so erschien es den Brüdern in diesem Augenblick, gab es ja doch so etwas wie eine Gerechtigkeit.

 

 

Aber dann ging auf einmal alles schief. Schuld daran war ein kleiner Adliger aus der Nähe von Trier, der sich mit Heiratsabsichten auf den Weg zu einer befreundeten Familie gemacht hatte, eine Reise von drei Tagen, zu der er mehrere Bewaffnete zu seiner Sicherheit mitgenommen hatte. Auch wenn die Gegend als friedlich galt, hatten sie dennoch aus Gewohnheit eine Nachtwache aufgestellt, bei der die Männer einander abwechseln sollten. Den Anfang machte ein alter Haudegen, der wegen seiner Adleraugen bekannt war. Und er war es denn auch, der die beiden Brüder schon von weitem erblickte. Rasch weckte er die Schlafenden, und als Adam und Ludwig das Seeufer erreicht hatten und sich gerade auf die Suche nach ein paar geeigneten Steinen machen wollten, um den Toten zu beschweren, sahen sie sich plötzlich einem halben Dutzend Männern mit Waffen gegenüber. Der Adlige musterte erst sie und dann ihre seltsame Last. „Wer seid ihr, und was tut ihr hier mitten in der Nacht im Wald?“, fuhr er sie an, während seine Männer sich der Last zuwandten und sich an der Verschnürung zu schaffen machten. Ludwig suchte noch nach einer Antwort, als Adam bereits begriffen hatte, dass die Männer ihnen die Geschichte von dem verstorbenen Geliebten einer Gräfin wohl kaum abnehmen würden. Er gab seinem Bruder ein Zeichen, und noch bevor der Tote aus seiner Umhüllung befreit war, rannten die beiden schon los. So schnell sie konnten, stürmten sie durch das Unterholz, warfen sich in dichtes Gebüsch und kamen zerkratzt auf der anderen Seite wieder heraus, schlugen Haken und achteten auf Deckung hinter Bäumen, und wäre Ludwig nicht plötzlich gestrauchelt, als er einen flüchtigen Blick



über die Schulter zurück warf, wären sie den Männern des Adligen entwischt. So aber lag er mit einem verdrehten Fuß auf der Erde und kam auch nicht wieder hoch, als Adam ihn am Arm packte und mit sich fortziehen wollte. „Lauf!“, zischte Ludwig seinem Bruder zu und noch einmal drängender „Nun lauf schon!“, als der unschlüssig innehielt, während die Distanz zu den Verfolgern sich rasch verringerte. Ludwig hatte recht, durchfuhr es Adam, und deshalb wandte er sich von ihm ab und lief weiter, seine Beine überschlugen sich fast, er rannte so schnell wie noch nie in seinem Leben, und erst als er sich in Sicherheit wähnte, machte er Halt.

 

Schwer atmend spähte Adam hinter Büschen hervor. Die Verfolger waren nicht länger zu sehen, offenbar hatten sie angehalten und kehrtgemacht, aber dennoch verharrte er reglos in seinem Versteck. Nur langsam beruhigte sich sein Atem. Als er sich sicher fühlte, versuchte er seine Situation zu erfassen. Und je mehr er darüber nachdachte, um so stärker wurde ihm das ganze Ausmaß der schrecklichen Lage bewusst, in der Ludwig und er selbst sich befanden. Spätestens bei Sonnenaufgang würden ihre Verfolger dem Dorfschulzen melden, dass sie in der Nacht zwei Männer mit einer Leiche entdeckt hatten, die diese offenbar im See hatten versenken wollen, und dass es gelungen sei, einen der beiden Männer festzuhalten. Der Schulze würde nach dem Richter in der Stadt schicken, und der würde eine Untersuchung einleiten. Und dann? Was könnten sie zu ihrer Entlastung vorbringen? Dass sie den Toten im Auftrag der Gräfin von Rott hatten beseitigen wollen, die ihnen Geld dafür versprochen hatte? Was zwar der Wahrheit entsprach, nur war kaum anzunehmen, dass die Gräfin eine solche Aussage bestätigen würde, stand dazu doch zu viel für sie auf dem Spiel. Auch die Aussage ihrer Schwester, der Zofe, würde keine Hilfe für sie sein, denn was wog das Wort von einer wie sie gegen das Wort einer Gräfin? Und einer Gräfin, deren Gemahl über Kontakte zu den allerhöchsten Kreisen verfügte, würde der Richter ohnehin nichts anhaben können. Adam schloss die Augen und stöhnte. Nein, der 

Verdacht würde sich allein gegen ihn und seinen Bruder richten. Jeder im Dorf wusste, was der Geldverleiher ihrer Familie angetan hatte, und außerdem gab es genügend Zeugen für den abendlichen Streit im Dorfkrug. Mit anderen Worten: Sie beide hatten ein überzeugendes Motiv, diesen Mann zu töten. Und was das bedeutete - vor allem für Ludwig, denn den hatten sie in ihrer Gewalt -, darüber machte sich Adam keine Illusion.

 

Bilder zogen durch seinen Kopf, eines immer schrecklicher als das andere. Wie ein Dämon aus seinen schlimmsten Träumen stand die Erkenntnis vor ihm, dass sie beide an einem Scheideweg ihres Lebens angelangt waren. Und je klarer ihm das wurde, um so elender fühlte er sich. Am schlimmsten war die Sache ohne Zweifel für Ludwig, doch auch an sein eigenes Schicksal musste er denken. Daran, dass es kein Zurück zu seinem bisherigen Leben mehr für ihn gab - nicht heute, nicht morgen und auch nicht in einer noch so fernen Zukunft. Der Richter hatte Zeit und der Henker ebenfalls, die konnten warten, bis er ihnen eines Tages ins Netz ging, auch wenn darüber Jahre ins Land gehen würden. Eine tiefe Verzweiflung bemächtigte sich Adams, und als ihm Tränen in die Augen stiegen, zum ersten Mal, seit er ein kleiner Junge gewesen war, da schämte er sich ihrer nicht. Todunglücklich ließ er sich ins Moos sinken und verlor sich in seinen finsteren Gedanken.

 

Irgendwann kroch ihm die Kälte in die Glieder, und er begann zu frieren. Zwar war der April in diesem Jahr wärmer als üblich, doch war er auf eine Nacht im Freien nicht vorbereitet, schließlich hatten sie um diese Zeit längst wieder zu Hause sein wollen. Doch dann auf einmal, während er noch überlegte, wie er sich vor der Kälte schützen könnte, schoss ihm plötzlich ein Gedanke in den Kopf, der ihn alles andere schlagartig vergessen ließ: Und wenn die Häscher nun mit Hunden nach ihm suchten, gleich nach Anbruch der Morgendämmerung? Würde er dann noch nicht weit genug weg sein, so wäre seine Gefangennahme wohl nur einer Frage der Zeit. Einer sehr kurzen Zeit. 



Aufgeschreckt von diesem Gedanken, machte sich Adam erneut auf den Weg. Zu seinem Glück stand der Mond noch am Himmel und spendete Licht, auch wenn es nur wenig war. Ein paar Mal stürzte Adam, wiederholt erschreckte ihn Rascheln im Unterholz und die Laute von Tieren, doch das Wissen um seine Lage trieb ihn weiter. Bären gab es in dieser Gegend nur noch selten, erzählten die Leute, aber es gab sie. Ebenso wie allerlei nachtschwarze Wesen, von denen er gehört hatte und über die die wildesten Geschichten im Umlauf waren. Auch der Weg bereitete Adam schon bald Probleme. Fand er sich anfänglich in der Nähe seines Dorfes noch zurecht, so änderte sich das, je weiter er sich davon entfernte. Schließlich vernahm er ein Rauschen, und als er näher kam, stand er vor einem Bach, der sich durch den Wald schlängelte. Ein Glücksfall, als er feststellte, dass der Bach nicht sehr tief war, so dass er gut darin gehen konnte. Folgte er ihm nur lange genug, würden die Hunde der Verfolger seine Spur verlieren. Mit jedem Schritt wuchs die Gewissheit, dass er es schaffen konnte. Als der Bach tiefer wurde, kehrte er ans Ufer zurück und lief dort weiter. Dornengestrüpp zerriss ihm die Haut, einmal fiel er in eine von Wilderern angelegte Grube, aus der er sich nur mit Mühe befreien konnte. Und dann sah er auf einmal gegen den Nachthimmel die Umrisse eines Kirchturms. Ein Dorf. Und wenn er sich nicht irrte, dann kannte er es.