21. Kapitel

 

(Frühling 1750, Kurtschlag) 

 

 

Die nächsten beiden Tage lag Elsa wie tot in ihrem Bett und rührte sich nicht. Zwar nahm sie schon am Morgen nach dem Unfall alles wahr, was um sie herum geschah, doch sie stellte sich schlafend. Sie sprach nicht und schlug nicht die Augen auf, sondern lag einfach nur da, in sich gekehrt und unendlich enttäuscht, dass es ihr nicht gelungen war, die Welt zu verlassen. Besucher erschienen und erkundigten sich nach ihrem Befinden, darunter als einer der ersten ihr Retter, ein Knecht vom Schulzenhof namens Endres, den sie bis dahin nur beiläufig wahrgenommen hatte und der im Dorf nun als ein Held galt, als „unser mutiger Endres“. Warum Elsa sich nicht aus eigener Kraft aus ihrer Lage befreit habe, hörte sie einen Mann an ihrem Bett einen anderen fragen, was dieser mit dem Verweis auf einen möglichen Schock beantwortete und damit, dass sie ‚halt kein Mann‘ sei, sondern ‚nur eine Frau‘. Auch Adam und Ljuba schauten nach ihr und ebenso ihre Eltern, die mit Tränen in den Augen den Herrgott priesen, dass er ihre Tochter gerettet hatte, und dabei mit keinem Wort mehr die in Aussicht genommene Heirat erwähnten, geschweige denn den Namen Niclaus. Jakob und Clara kamen gleich mehrmals und stets beide zusammen, was ihr Stiche versetzte und sie inständig hoffen ließ, die beiden mögen sie schnellstmöglich wieder verlassen. Mit Ausnahme ihres letzten Besuchs, entwickelte sich doch bei dieser Gelegenheit aus einem Wortwechsel ein Streit, von dem sie gar nicht genug haben konnte. Offenbar waren die beiden fest überzeugt, dass sie schlafen würde, denn sie benutzten Worte und sprachen über Dinge, die ihnen andernfalls nie über die Lippen gekommen wären. Von vergangenen Streitereien war da die Rede, von mangelndem Verständnis und fehlender Rücksichtnahme, ja sogar von lieblosem Verhalten, und wiederholt wurde eine Vergangenheit bemüht, in der vieles „noch ganz anders“ gewesen sei. Auch fehlte es nicht an Andeutungen von Clara gegenüber Jakob, die sich auf sie, Elsa, bezogen und die Clara in Begriffe wie ‚fehlende Distanz‘ und das ungewöhnliche, dafür aber um so aussagekräftigere Wort ‚überfreundlich‘ kleidete. Vorwürfe, die Jakob mit Claras angeblich überzogener Fürsorglichkeit gegenüber ihrem Sohn beantwortete und mit einem spitzen Hinweis auf ein 

mögliches Verstärken ihres Verhaltens nach der bevorstehenden zweiten Geburt. Elsa hörte dies alles, genoss dabei jedes einzelne Wort, stellte sich jedoch gleich mehrmals die Frage, ob das alles womöglich nur ein Traum sei. Konnte es sein, dass es zwischen den beiden eine Kluft gab, die sie nicht bemerkt hatte? Weil sie unaufmerksam gewesen war? Oder weil die beiden diese Kluft gut versteckt hatten? Immer schneller schlug ihr Herz, je länger sie miteinander sprachen, und in ihrem Kopf drehten sich die Gedanken in einem wilden Tanz. Was sie auch dann noch taten, als Jakob und Clara sich bereits entfernt hatten und sie wieder allein war. Während der nächsten Stunden ging sie angestrengt die Vergangenheit durch und versuchte, sich an Einzelheiten zu erinnern, vor allem an solche, denen sie seinerzeit keine Bedeutung beigemessen hatte, die aber auf einmal ein völlig anderes Gewicht besaßen. Und je mehr sie über das alles nachdachte, um so mehr stellte sich vieles in einem neuen Licht für sie dar, bis schließlich sogar eine Frage im Raum stand, die ihr kurz zuvor noch als völlig abwegig erschienen wäre: Durfte sie hoffen?

 

Am dritten Tag nach dem Unfall erhob sich Elsa wieder von ihrem Lager und wandte sich, soweit die Kräfte es ihr erlaubten, ihrer üblichen Arbeit zu. Alles war wie gewohnt, und doch war alles irgendwie anders. So jedenfalls dachte sie, aber schon bald begann sie an dieser Sicht zu zweifeln. Denn so sehr sie sowohl auf Clara als auch auf Jakob ein Auge hatte, so wenig konnte sie durch deren Verhalten eine Bestätigung für das Gehörte erlangen. Nicht anders als zuvor sprachen die beiden miteinander, wählten zumeist nüchterne, mitunter sogar freundliche Worte und lachten auch gelegentlich zusammen, so dass in Elsa schon der Verdacht aufstieg, sie hätte den hässlichen Streit nur geträumt. Eine Woche später sollte sie eine Antwort auf ihre Zweifel bekommen.

 

Es war an einem warmen Frühlingstag um die Mittagszeit, jeder im Dorf ging seiner Arbeit nach, als ein kleiner Junge laut schreiend die Dorfstraße entlang rannte - der jüngste Sohn von Peter Bremm, ein 



aufgewecktes Bürschlein mit Haaren so rot wie Kastanien. „Gaukler sind da! Gaukler sind da!“, schrie er aus Leibeskräften. Und als er gerade das letzte Haus im Dorf erreicht hatte, da tauchten sie an dessen anderem Ende auch schon auf. Vorneweg zwei Mädchen mit einem Schaf in der Mitte, dahinter ein von einer Fuchsstute gezogener Planwagen, auf dessen Verdeck Sterne und allerlei Zeichen prangten, und am Ende zwei an den Wagen angebundene Ziegen sowie ein von einem großen struppigen Hund gezogenes Wägelchen, neben dem ein drittes Mädchen lief. Den Wagen lenkte ein vollständig in Braun gekleideter Mann, neben ihm auf dem Bock saß eine Frau und sang, und dazu schlug sie im Takt einen Tambourin. In der Mitte der Dorfstraße hielt der Zug an. 

 

Dass sich Gaukler in diese Weltabgeschiedenheit verirrten, geschah selten. Vermutlich waren sie auf der Durchreise nach Zehdenick, wo in den nächsten Tagen ein großer Markt stattfinden sollte. Menschen wie diese waren eine höchst erwünschte, leider viel zu seltene Abwechslung, die dem meist gleichmäßig verlaufenden Alltag ein wenig Farbe verliehen. Die Darbietungen solcher Gaukler waren von höchst unterschiedlicher Art. Manche tanzten zum Klang von Fiedel, Sackpfeife und Flöte, andere jonglierten mit verschiedenen Gerätschaften oder trugen Lieder vor, gern anstößige, die das einfache Volk schätzte und die für manchen Geschmack gar nicht deftig genug sein konnten. Es gab Gaukler, die mittels fantasiereich gestalteter Marionetten wundersame Geschichten erzählten, etwa von Reichen, die arm wurden oder das Umgekehrte, was im Alltag zwar selten geschah, was das Publikum sich aber nur allzu gern wünschte. Manchmal kamen Gaukler mit Affen daher, mit tanzenden Bären, Salto schlagenden Hunden oder mit Schlangen, vor denen die Zuschauer sich heftig erschreckten. Da waren Kraftmenschen und Ringer, Feuerfresser und solche, die Steine zerkauten oder unglaubliche Mengen Wasser in sich hineinschütten konnten. Aber auch ganz schlichte gab es, die mit aufgesteckten übergroßen Wackelohren oder mit Purzelbäumen ihre

Zuschauer zu fesseln trachteten. Diejenigen, die hier auf der Dorfstraße Halt machten, gehörten zu dieser eher schlichten, aber nichtsdestoweniger unterhaltsamen Art. 

 

Noch bevor der braune Mann und die Tambourin-Frau vom Wagen stiegen, hatten sich bereits etliche Dorfbewohner eingefunden und umstanden nun voller Erwartung das lustig anzusehende Gefährt. Wie sehr die auf der Plane aufgenähten Sterne leuchteten! Manche in grellem Gelb, andere in feurigem Rot, und einen gab es, der hatte sogar ein Gesicht. „Seht nur, der Mond!“, rief eine Magd, trat an den Wagen heran und zeichnete mit einem Finger das Gesicht nach, was ihr ein „Abstand halten, werte Herrschaften!“ eintrug, gefolgt von dem an alle gerichteten Hinweis, sie sollten sich in einem Halbkreis um den Wagen aufstellen, denn gleich würde hier „eine über alle Maßen sehenswerte Vorführung“ beginnen. Mathilde, die Frau von Peter Bremm, stieß ihre Nachbarin an: „‚Werte Herrschaften‘ hat er zu uns gesagt“, freute sie sich. „So hat uns noch niemand genannt!“ Wie von dem Mann gefordert, rückten alle ein Stück von dem Wagen weg, während die Mädchen einige Requisiten aufstellten, darunter zwei fassförmige Trommeln, und anschließend mit gekünstelten Griffen einen Teppich ausrollten. Einen Teppich im märkischen Sand, wo hatte man so etwas schon mal gesehen! Unterdessen kamen auch diejenigen angelaufen, die den Einzug der Gaukler erst mit Verpätung bemerkt hatten, weil sie auf den Feldern gewesen waren. Selbst zwei eigentlich Bettlägrige hatte man geholt und auf Schemeln in der ersten Reihe platziert, sollte ein Spektakel wie das zu erwartende doch niemandem entgehen. Und dann ging es auch schon los. Nunmehr in einen giftgrünen Umhang gehüllt, auf dem die gleichen Sterne und Zeichen zu sehen waren wie auf der Plane des Wagens, und mit einem hohen Hut auf dem Kopf, trat der Mann nach vorn. „Wollt ihr wissen, werte Herrschaften, warum wir hier sind?“, wandte er sich mit kräftiger Stimme an die Versammelten. „Er hat uns schon wieder ‚werte Herrschaften‘ genannt!“, freute sich die Frau von Peter Bremm abermals und grinste ihre Nachbarin an. "Ehre, 



wem Ehre gebührt!“, rief ihr der Mann zu, der ihre Worte gehörte hatte, worauf sie ganz verlegen wurde und den Kopf senkte. „Wir sind hier“, nahm er seine Einleitung wieder auf, „weil wir von eurem schönen Dorf Curthschlag gehört haben. Schöner als alle anderen Dörfer in dieser Gegend soll es sein, hat man uns erzählt. Und wenn ich mich hier so umschaue“ - sein Kopf beschrieb einen Kreis - „dann hat man uns die Wahrheit gesagt.“

 

Zufriedene Gesichter und „Hört, hört!“-Rufe waren die Antwort. Und während der Mann noch einige weitere Sätze folgen ließ von den schönen Frauen, die es in diesem Dorf erkennbar gebe und die er gern einmal treffen würde, wenn ihre Männer außer Haus seien - was ihm ein weibliches Kichern und ein männliches „Das würde dir schlecht bekommen!“ eintrug -, trat mit einem lauten Rasseln ihres Tambourins die Begleiterin des Redners auf. War ihre Bekleidung zuvor schon recht knapp gewesen und damit ganz anders als die der Bauersfrauen, so zeigte sie nun noch deutlich mehr Fleisch - nackte Arme und Schenkel und einen eindrucksvollen, nur wenig züchtig bedeckten Busen, der mehrere der zuschauenden Männer mit offenen Mündern dastehen ließ. Gleich darauf sprangen zwei Mädchen mit doppelten Überschlägen auf den Teppich, packten die bereitstehenden Trommeln und schlugen darauf ein, während die Frau im Rhythmus der Schläge zu tanzen begann.

 

Auch Elsa hatte sich unter die Zuschauer gemischt, nicht aus eigenem Antrieb, sondern erst nachdem zwei Mägde, die gerade an ihrem Haus vorbeigekommen waren, sie nachdrücklich dazu gedrängt hatten. Nach anfänglichem Sträuben war sie den beiden gefolgt, und nun stand sie hier, eingezwängt zwischen all den Schaulustigen und wie der Zufall es wollte - oder war es das Schicksal? - direkt neben Jakob. „Was für ein Weib!“, rief einer hinter ihr, und obwohl er sich allgemein ausgedrückt hatte, wusste jeder, wer gemeint war. Ein Genuss für die Sinne war die 

Tänzerin in der Tat, die sich drehte und wand und ihren Körper mit der Geschmeidigkeit einer Schlange bewegte. Plötzlich, während die Mädchen leidenschaftlich ihre Trommeln bearbeiteten und der Mann seine Begleiterin mit rhythmischem Händeklatschen zu immer schnelleren Bewegungen antrieb, plötzlich geschah etwas, was Elsa nach den quälenden Zweifeln der letzten Tage kaum noch für möglich gehalten hatte: Jakob rückte näher an sie heran! Ja, fast konnte man sagen: Er presste sich an sie heran, auch wenn er sich den Anschein zu geben versuchte, als hätten andere Zuschauer ihn geschoben. Und nicht nur das, er hielt auch noch seinen Arm in einer Weise, dass ihre Finger sich berührten. Elsa durchzuckte es wie ein Blitz! Nur kurz, um nicht aufzufallen, drehte sie den Kopf ein wenig zur Seite und nahm Jakob in den Blick. Ganz unschudig sah er aus, als wäre die körperliche Berührung ein reines Versehen, ja als habe er sie nicht einmal bemerkt. Aber er hatte sie bemerkt, da war sie sich ganz sicher. Und nicht nur das, er hatte diese Berührung absichtlich herbeigeführt, denn als sie sich nicht entzog, da verstärkte er sie sogar noch. Und die ganze Zeit über hatten sie beide ihre Augen auf die Gaukler gerichtet.

 

Die Trommeln verstummten, und unter dem Beifall der Zuschauer zog die Tänzerin sich in den Wagen zurück. Doch schon ging es weiter, diesmal mit dem Mann, der einen Ständer neben sich aufbaute, an den er ein großes Bild hängte. Was es darstellte, war nicht leicht zu erkennen, ein Gewirr von Linien und Farben, das die Zuschauer erraten sollten. Jeder erkannte etwas anderes - ein Mensch, zwei Hühner, ein Fisch in einer Reuse - und rief es lauthals in die Menge, jeder bis auf Elsa, die einfach nur dastand und keinen Blick für das Geschehen hatte. Auch die launige Geschichte bekam sie nicht mit, die der Gaukler von dem zweibeinigen Schaf erzählte - tatsächlich war es ein Schaf auf dem Bild -, auch nicht die nachfolgenden von den letzten Bären in dieser Gegend und von dem schier unglaublichen Abenteuer eines Schneidergesellen, die er anhand von weiteren Bildern zum besten gab. 



Erst ein Wort riss sie aus der Erstarrung, das Wort ‚Komet‘. Schlagartig tauchte sie aus ihrer Versunkenheit auf und richtete den Blick auf das Bild neben dem Gaukler, auf dem der Komet zu sehen war. Groß war er, grell seine Farben und grell auch der Schweif, der sich in einem weiten Bogen über die gesamte Fläche erstreckte. Sofort war das Oderbruch in ihr wieder lebendig, als sie zusammen mit Jakob Zeuge dieser seltenen Himmelserscheinung geworden war, die sich ganz tief in ihre Seele eingebrannt hatte. Auch Jakob dachte daran, denn als sie den Kopf abermals ein wenig zur Seite wendete, da erkannte sie auf seinem Gesicht die gleiche Erinnerung. Wie sehr wünschte sie sich in diesem Augenblick, seine Gedanken lesen zu können! Dann drängelte sich auf einmal ein Junge von hinten durch die Reihen, um besser sehen zu können, und sie wurde von Jakob getrennt. Zwar nur für einen kurzen Moment, doch eine Magd, die sich gleich darauf in die entstandene Lücke schob, brachte für ihren Kontakt das endgültige Aus.

 

Die beiden Ziegen traten als nächste in Aktion, gefolgt von zwei als Zwerge verkleideten Kindern, die Luftsprünge vollführten und Purzelbäume schlugen und auch noch den Hund in ihre Vorführung miteinbezogen … Von alledem bekam Elsa nichts mit, ebenso wie sie von Clara nichts mitbekam, die nur wenige Schritte von ihr entfernt stand und der die heimliche Annäherung zwischen Jakob und ihr nicht entgangen war. In ihrem Kopf gab es nur noch Raum für das, was sich da gerade ereignet hatte. Warum hatte er das getan? War es ein Spaß für ihn? Eine Laune? Oder deutete es darauf, dass sich sein Verhältnis zu ihr verändert hatte? Als die Vorstellung zu Ende war und die Gaukler mit der Bitte um eine Gabe den Hund mit einem Hut in der Schnauze herumgehen ließen, da war sie verwirrt wie kaum jemals zuvor. Verwirrt - und zugleich glücklich, dass er, nachdem sie schon ohne jede Hoffnung gewesen war, einen Anfang gemacht hatte. Vorausgesetzt, dass es wirklich ein Anfang war …

 

Die beiden folgenden Tage vergingen für Elsa wie in einem Traum. Immer wieder musste sie daran zurückdenken, wie er ihre Nähe gesucht hatte, und immer von neuem stellte sie sich die Frage nach dem Warum. Am dritten Tag kam es zu einem Zusammenstoß zwischen ihr und Clara. Auslöser war die Kuh von Jakob und Clara, die täglich von dem Hirt zusammen mit den anderen Kühen des Dorfes auf die Weide getrieben wurde. Was der Hirt auch an diesem Tag getan hatte, nur als er am späten Nachmittag mit der Herde ins Dorf zurückkehrte, da fehlte auf einmal eine Kuh, und zwar ihre. Als Clara das bemerkte, stellte sie den Hirt zur Rede, dem ein solcher Schreck in die Glieder fuhr, dass er zu stottern anfing und nichts Brauchbares mehr aus ihm herauszuholen war. Worauf Clara Jakob und Elsa benachrichtigte und alle drei unverzüglich mit der Suche begannen. Um den Hof herum suchten sie, hinter den anderen Gehöften und auf den Wiesen bis zum Waldrand, und als das Tier unauffindbar blieb, regte Clara an, dass man die Suche im Wald fortsetzen sollte. Was sie auch selbst gern getan hätte, aber da sie kurz vor der Niederkunft stand, fühlte sie sich dazu nicht fähig. Also machten sich Jakob und Elsa allein auf den Weg.

 

Es verging eine Stunde, es verging eine zweite, und erst als die Sonne unterging und der Himmel sich färbte, kehrten die beiden zurück - ohne die Kuh. Was auch anders nicht möglich gewesen wäre, denn kurz nachdem sie sich auf die Suche gemacht hatten, war Ljuba auf der Wiese hinter ihrem Hof fündig geworden und hatte die Kuh zu Clara zurückgebracht. Da man auf dieser Wiese zuvor schon Ausschau nach dem Tier gehalten hatte, musste es sich also zunächst anderswo aufgehalten haben und erst später dorthin gekommen sein. Jakob und Elsa zu benachrichtigen war nicht mehr möglich gewesen, da sie schon unterwegs waren. Also suchten die beiden, aber zwangsläufig ohne Erfolg. Anstatt für diese verunglückte Situation Verständnis zu zeigen, empfing Clara sie bei ihrer Rückkehr mit völlig unberechtigten Vorwürfen. Wo sie denn die ganze Zeit über gewesen seien, schimpfte sie, was sie im Wald gemacht hätten, wo die Kuh doch längst im Stall



gestanden hätte und immer so weiter - bis Jakob schließlich wütend in die eine Richtung entschwand und Elsa in die andere. Was Clara als unverschämt empfand, ebenso wie den Vorfall bei den Gauklern, der ihr in diesem Augenblick wieder in den Sinn kam, weshalb sie mit den Worten „Nicht mit mir!“ wutschnaubend ins Haus verschwand.

 

Was Clara mit ihrem „Nicht mit mir!“ gemeint hatte, erfuhr Elsa gleich am nächsten Morgen. Gerade zeichnete sich ein schmaler Lichtstreifen am Horizont ab, da stand Clara schon in der Kammer, in der Elsa noch schlaftrunken in ihrem Bett lag. Fast die ganze Nacht über hatte Clara kein Auge zugemacht, teils wegen des Ärgers, teils weil das Kind, das in ihr heranwuchs, sie nicht zur Ruhe hatte kommen lassen. Sie solle nicht denken, herrschte sie Elsa an, dass sie ihr den Mann ausspannen könne, Jakob gehöre ihr, und so solle es auch bleiben, und wenn sie, Elsa, das in Zukunft nicht berücksichtige, dann sehe sie, Clara, sich gezwungen, sich eine andere Magd ins Haus zu holen. Während die Worte wie Geschosssalven auf sie herniederprasselten, schlug Elsas Herz immer schneller. Wie eine Maus fühlte sie sich, vor deren Loch eine hungrige Katze saß, Clara, die durch ihr Auftreten keinen Zweifel ließ, dass sie fest entschlossen war, ihren Worten notfalls auch Taten folgen zu lassen. Elsa wollte antworten, doch Clara wischte jeden möglichen Einwand mit einem „Du solltest dir meine Worte gut merken!“ beiseite. Dann drehte sie sich um und verschwand aus dem Raum. In Elsas Augen aber schimmerte Hass.