29. Kapitel

 

(Juli 1757, Kurtschlag) 

 

 

Schuld an dem Brand war Agnes, die Magd, die Jakob und Elsa sich einige Monate zuvor in ihr Haus geholt hatten. Die viele Arbeit sei ohne Hilfe nicht mehr zu schaffen, hatte Elsa immer häufiger geklagt, und irgendwann hatte Jakob sich dieser Sicht angeschlossen. Schließlich hatten sie sich auf die Tochter von Ludwig Dietz geeinigt, einem Bauern aus Ostheim im Hanauischen, der bei den ersten Kolonisten dabeigewesen war. Einer von den ganz Ruhigen war er, ein stiller, in sich gekehrter Mann, der fleißig arbeitete und sich nur selten zu Wort meldete. Still und fleißig war auch seine jüngste Tochter Agnes, allerdings war sie auch ein wenig naiv und träumte gelegentlich vor sich hin, aber diese Eigenschaften, so hatten sich Jakob und Elsa gedacht, würden sie ihr mit der Zeit schon austreiben. Was jedoch nicht gelang, denn der Brand, der sich während Ulrichs Aufenthalt in Curthschlag ereignete, ging eben auf Agnes zurück. Sie war es, die das Tuch zum Trocknen über den Herd gehängt hatte und anschließend zum Melken in den Stall gegangen war. Zwei Kühe standen dort, nicht mehr die alten, die waren trotz des Henkerstricks eingegangen, was Agnes jedoch völlig gleichgültig war. Für sie war lediglich von Bedeutung, wie sich die Kühe beim Melken verhielten, und in dieser Hinsicht gab es mit den beiden neuen keine Probleme. Agnes wollte gerade den Eimer unter das Euter der ersten Kuh stellen, als sie im Haus plötzlich ein Flackern bemerkte. Einen Augenblick war sie verwirrt und stand wie angewurzelt da. Dann aber, nachdem sie begriffen hatte, dass es sich um ein Feuer handelte, rannte sie aus dem Stall, lief über den Hof und stürzte in die Küche, wo Flammen und beißender Qualm sie empfingen. Hätte vor dem Herd nicht gerade ein Korb mit Wäsche gestanden, wäre der Brand womöglich glimpflich ausgegangen. So aber hatte das Feuer reichlich Nahrung gefunden. Die Wäsche hatte sich in Windeseile entzündet, und die hoch auflodernden Flammen hatten Teile der Einrichtung in Brand gesetzt, zuerst in der Küche und gleich darauf in der angrenzenden Kammer, wo das Feuer auf den Alkoven überzuspringen drohte, in dem Jakob und Elsa nachtsüber schliefen. Gänzlich überfordert, was zu tun war, hetzte Agnes hierhin und dorthin, 

wollte mit einem Tuch die Flammen ausschlagen, was ihr misslang, suchte dann nach dem Wassereimer, den sie aber nirgends entdecken konnte, und anstatt wenigstens um Hilfe zu rufen und die Nachbarn zu alarmieren, fiel sie in Schockstarre und begann, hemmungslos zu schluchzen, während das Feuer sich unaufhaltsam weiter voranfraß. Jakob war mit Adam und Ljuba im Wald, Elsa mit dem Jungen am Fließ, sie selbst war die Einzige im Haus, und ausgerechnet jetzt musste sich dieses Unglück ereignen.

 

Im nächsten Augenblick flog die Tür zur Dorfstraße auf und Ulrich stürzte in den Raum, dicht gefolgt von seinem Vater. Beinahe im selben Moment wie die Magd hatten auch sie das Feuer vom Schulzenhaus aus bemerkt, Ulrich hatte blitzschnell zwei Eimer gegriffen und der Vater eine Decke, und sie waren losgerannt. „Rasch, wir brauchen Wasser!“, schrie Ulrich der Magd zu, die der Ruf aus ihrer Erstarrung zurückbrachte. Er drückte ihr einen der beiden Eimer in die Hand und zog sie mit sich zum Brunnen im Hof, während der Schulze sich der Kammer zuwandte, in der die Flammen bereits an der Umrandung des Alkovens leckten. Schon griff das Feuer auf die Bettlaken und das Stroh über, das die Unterlage bildete, und noch im selben Moment war das gesamte Nachtlager in Brand. Kraftvoll schlug der Vater mit seiner Decke auf die Flammen ein, doch fachte sein Schlagen das Feuer nur weiter an, weshalb er die Decke fallen ließ und mit einem schnellen Blick durch den Raum zu erfassen suchte, was am Besten zu tun war. Jeden Moment würden weitere Nachbarn mit Wassereimern kommen, und alle würden helfen, weshalb er sich entschied, anstatt zu löschen möglichst viele Gegenstände zu retten. Er packte die beiden Schemel und warf sie aus dem Fenster, schob eine Truhe in die Ecke, die das Feuer noch nicht erfasst hatte und langte nach dem Bord an der Wand, auf dem neben einem Kerzenständer und zwei Bechern mehrere Spanschachteln ihren Platz hatten. Mit einem Ruck riss er das Bord ab und schleuderte es den beiden Schemeln hinterher. Als er sich umdrehte, um den Tisch ebenfalls in Sicherheit zu bringen, fiel sein 



Blick auf einen kleinen Gegenstand, der offenbar von dem Bord stammte und nun direkt vor seinen Füßen lag. Was ihn veranlasste, sich in dieser Situation zu bücken, um ausgerechnet diesen kleinen Gegenstand aufzuheben, wusste er selbst nicht. Auch später fand er keine Erklärung - ein sich rasch ausbreitendes Feuer, Hitze und Qualm, und am Boden der Gegenstand, den er an sich nahm und einsteckte, ohne ihn näher anzusehen. Aus der Küche und von der Straße her drangen Stimmen an seine Ohren, offensichtlich waren die Nachbarn eingetroffen und unterstützten das Löschen. Gleich darauf sah er seinen Sohn und die Magd, wie sie mit Wasser gegen die Flammen ankämpften, dann entdeckte er Elsa, auch sie mit einem Eimer, dessen Inhalt sie gerade schwungvoll in das Feuer entleert hatte. „Raus!“, schrie sie ihm zu und deutete mit der Hand hinter ihn, wo in diesem Augenblick ein Deckenbalken abzubrechen drohte. Er drehte sich um, aber es war zu spät. Zwar traf der Balken ihn nur an der Schulter, doch reichte die Wucht aus, ihn zu Boden zu  werfen. Mit einem raschen Satz war Ulrich bei seinem Vater. Obwohl die Hitze zuehmend unerträglicher wurde, packte er ihn an den Armen und zerrte ihn aus der Kammer und durch die Küche auf den Hof, wo es den Nachbarn inzwischen gelungen war, eine Eimerkette aufzubauen. „Legen wir ihn dort drüben hin!“, vernahm Ulrich eine Stimme. Als er sich ihr zuwandte, erkannte er Elsa. Mit festem Griff fasste sie den Schulzen an den Beinen, und gemeinsam trugen sie ihn aus der Gefahrenzone. Dass Ulrich in Curtschlag war, hatte Elsa gehört, auch von seiner Verwundung hatte sie erfahren, aber gesehen hatte sie ihn bis dahin noch nicht. Und ausgerechnet unter diesen Bedingungen begegneten sie sich. „Ich will mit dir reden“, stieß sie nach Luft schnappend hervor, darauf bedacht, dass der Vater sie nicht hörte. „Ich wohne wie damals“, kam die Antwort. An einem sicheren Platz legten sie den Verletzten ab und waren im nächsten Augenblick schon wieder beim Löschen.

 

Erst am Nachmittag wachte der Schulze auf, nachdem er in einen tiefen Schlaf gefallen war. Ulrich, seine Mutter und die Schwestern hatten abwechselnd an seinem Bett gesessen. Ulrichs Brüder hatten nur kurz 

nach ihm geschaut und waren gleich wieder ihrer Wege gegangen. Auch wenn es Ulrichs Mutter zur Zeit selbst nicht gut ging, würde sie als Ehefrau des Dorfschulzen vorübergehend seine Aufgaben übernehmen müssen, so weit sie es konnte. „Was ist mit dem Haus?“, war die erste Frage des Schulzen, als er erwachte. „Das hat den Brand weitgehend überstanden“, antwortete Ulrich seinem Vater. „Natürlich war nicht alles zu retten. Jakob und Elsa werden eine Weile brauchen, um die Schäden zu beseitigen. Aber durch die schnelle Hilfe von uns allen konnte das Schlimmste verhindert werden.“ - „Was für ein dummes Ding, diese Agnes!“, schimpfte die Mutter. „Jakob hat ihr kräftig die Meinung gesagt und sie dann rausgeworfen. Er wird sich eine neue Magd suchen. Ich hab ihm vorgeschlagen, eine von unseren zu nehmen. Eine könnten wir vorübergehend entbehren. Er wird es sich überlegen, hat er gesagt.“ Der Schulze versuchte sich aufzurichten, verzog aber schmerzhaft das Gesicht. Er tastete nach dem Verband um seine Schulter. „Es ist nichts gebrochen, dem Herrgott sei Dank“, beruhigte ihn seine Frau. „Trotzdem wirst du dich eine Weile schonen müssen.“  

 

Als alle gegangen waren, lag der Schulze still da, starrte an die Decke und ließ das Geschehen in Gedanken wieder und wieder an sich vorbeiziehen. Irgendwann stutzte er. Der Gegenstand, der da auf dem Boden gelegen und den er eingesteckt hatte … Er holte ihn hervor, und als ihm klar war, was er vor sich hatte, war er so überrascht, dass er für einen Moment glatt das Atmen vergaß. Es war eine Perle von tropfenförmiger Gestalt und mit einem bläulichen Schimmer. Eine Perle! Ein Gegenstand aus der Welt der Reichen, aber er hatte sie in einem Bauernhaus gefunden! Zutiefst irritiert bewegte er sie zwischen den Fingern, betrachtete sie und ließ das Licht auf ihr tanzen. Plötzlich erstarrte er, und abermals setzte sein Atem aus. Er kannte die Perle, er hatte sie schon einmal gesehen. Auch an die Gelegenheit konnte er sich erinnern. Und obwohl es warm war im Haus, wurde ihm schlagartig eiskalt.