Karl Brünger, der "Held von Kurtschlag"

Auszüge aus der Kurtschläger Dorfchronik

"Der Krieg rückte (1945) von Woche zu Woche weiter ins Land hinein. Zwar konzentrierte sich die Angriffsrichtung auf Berlin, aber die nördlich Berlins vorstoßenden Einheiten kamen näher und näher. Es schien keine geschlossene Front mehr zu geben. Seit Ende März wohnten SS-Soldaten bei den Bauern, die den Auftrag hatten, die Fließbrücke sprengfertig zu machen: Ein Sprengkommando blieb zurück, um vor Ankunft der Russen die Brücke zu zerstören.

Ab 21. April 1945 brauchten die Kinder nicht mehr in die Schule zu gehen. Der Unterricht wurde eingestellt. Als ferner Kanonendonner anzeigte, dass die Front näher kam, flüchteten einige Familien des Dorfes in Richtung Nordwesten. Alle möglichen Fortbewegungsmittel wurden benutzt, man floh sogar mit dem neuen Feuerwehrauto, das dann wegen Spritmangels irgendwo stehengelassen wurde. Aber die meisten Einwohner verließen das Dorf nicht. Sie besaßen Haus und Hof, Vieh und Land und wollten das nicht aufgeben, hatten sie doch das Flüchtlingselend auf den Straßen beobachten können. Sie wollten sich aber vor dem ersten Ansturm der fremden Soldaten in Sicherheit bringen, deshalb bereiteten sie für sich und ihr Vieh im Wald Verstecke vor. In Dickungen hoben sie Erdgruben aus, um sich dort mit ihrer Habe zu schützen.

Es kristallisierten sich drei Fluchtrichtungen heraus: Wer an der Döllner Chaussee oder in ihrer Nähe wohnte, zog mit Vieh und Wagen den Blockhausdamm entlang in die dichten Wälder. Ein Teil der im alten Dorfkern wohnenden Leute floh in die Dickungen hinter den beiden Ausbauhäusern. Dort sind die zum Verstecken erweiterten alten Lehmgruben noch heute zu erkennen. Die letzte Gruppe trieb ihr Vieh und beladene Pferdewagen zum Bullenwinkel hinter die Rabensberge. Als die Rote Armee schon sehr nahe war und sich die deutschen Soldaten in Richtung Groß Schönebeck absetzten, suchten fast alle Bewohner ihre vorbereiteten Verstecke auf. Das war am 27. April 1945, einem milden Frühlingstag, einem Sonnabend. Sie richteten sich dort ein, das Vieh wurde angebunden oder eingepfercht und die Geflüchteten verbrachten eine unruhige, sorgenvolle Nacht unter freiem Himmel.

Als der Sonntagmorgen des 28. April anbrach, beschloss Karl Brünger ins Dorf zu fahren, um die weiße Fahne auf dem Kirchturm zu hissen. Aus seiner Soldatenzeit im Ersten Weltkrieg waren ihm noch einige Worte der russischen Sprache in Erinnerung, er konnte auch Gesprochenes verstehen, so das er sich eine erste Begegnung mit russischen Soldaten zutraute. Er nahm den zehnjährigen Manfred Tetzlaff mit, der uns diese Begebenheit erzählte. Beide radelten, nachdem sie sich mit der Fluchtgruppe hinter den Rabensbergen verständigt hatten, den Eichendamm entlang und über das Fließ in Richtung des Dorfes. Als sie in den Birkendamm einbogen, erschütterte mit einem Mal eine Explosion den Ort. Kaum war ihnen klar geworden, dass das die Sprengung der Brücke sein musste, als sie nacheinander drei Geschosseinschläge hörten. Ihr Vorhaben, die weiße Fahne vor Ankunft der Roten Armee zu hissen, war gescheitert. Später rekonstruierten Beobachter die Lage: Als auf der damals noch gut einsehbaren Straße von Groß Dölln aus die ersten Panzer auftauchten, sprengte das zurückgebliebene SS-Kommando die Brücke und setzte sich sofort ab. Die Russen glaubten, auf deutsche Abwehr gestoßen zu sein und feuerten drei Panzergranaten ins Dorf. Der erste Schuss schlug hinter Schäfers Hof ins Feld. Die zweite Granate traf Gastwirt Fenglers Scheune. Der dritte Schuss  vernichtete die Kirchturmspitze ... Die beiden Radler waren eine Weile stehen geblieben, aber sie hielten sich nicht lange auf. Als alles ruhig schien, radelten sie weiter. Schon bei Luzie Ney (jetzt Gosse in den Rehbergen) sahen sie die ersten Russen. Es waren berittene Soldaten. Ehe Karl Brünger zu Wort kam, besaßen er und Manfred keine Fahrräder mehr. Die Sowjetsoldaten befanden sich beim Plündern, während die Panzer in westlicher Richtung weiterrollten. Später am selben Tag sah Manfred Tetzlaff sein Fahrrad am Zaun eines Hauses lehnen. Schnell nahm er sein Eigentum wieder in Besitz und sorgte dafür, dass es ihm nicht wieder abhanden kam."